Teilprojektskizze Riescher


DFG-Forschergruppe

Teilprojekt Riescher

Forschergruppe: Marktordnung und soziale Gerechtigkeit

Name: Gisela Riescher. Prof. Dr.

Dienstellung: Direktorin am Seminar für Wissenschaftliche Politik (C-4)

Geburtsdatum, Nationalität: 27.02.1957, deutsch

Institution, Fachbereich: Universität Freiburg, Seminar für Wissenschaftliche Politik

Dienstadresse: Seminar für Wissenschaftliche Politik. 79085 Freiburg

Telefon: 0761/203-3475

Telefax: 0761/203-3476

Email: sekretariat.riescher@politik.uni-freiburg.de

Privatadresse: Wintererstraße 5, 79104 Freiburg

Gerechtigkeitsvorstellungen im Spannungsfeld von Politik und Markt: Systemvergleichende Analysen

Das politikwissenschaftliche Projekt geht von der These aus, dass unterschiedliche Funktionslogiken in den Bereichen demokratischer Politik und Marktwirtschaft zu einem Spannungsverhältnis in den Gerechtigkeitsvorstellungen, wie sie in den beiden Teilbereichen generiert werden, führen.

Demokratische Politik ist gekennzeichnet durch den Wettbewerb um Zustimmung zu politischen Programmen und durch die kontrollierte Begrenzung politischer Herrschaft. Die Zustimmung zu demokratischer Politik ist in hohem Maße abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung einerseits und einer erfolgreichen sozialen Integration der Bürger andererseits. Soziale Gerechtigkeit lässt sich im politischen Kontext somit kaum auf eine reine Verfahrensgerechtigkeit reduzieren. Diese kennzeichnet bestenfalls die rechtliche Gleichstellung der Bürgerinnen und Bürger. Demgegenüber beinhaltet die Diskussion sozialer Rechte immer auch Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit. Hierbei ist ein hoher Anpassungsdruck auf das politische Personal und die politischen Programme zumindest der beiden großen Volkparteien unübersehbar.

Im Unterschied zur demokratischen Politik zielt die Funktionslogik des Marktes auf Effizienz und aus ordnungsökonomischer, auf Hayek sich beziehender Sicht auf die ausnahmslose Gleichbehandlung der Marktteilnehmer. Das „Paradoxon der marktwirtschaftlichen Ordnung“ liegt nun darin, dass der Markt zwar einerseits als effizientes und produktives System - gerade nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Experimente - weithin anerkannt ist, aber andererseits die Ergebnisse und die Ungleichheiten, die er produziert oder die man ihm als Folgeerscheinungen anlastet, vielfach als „ungerecht“ empfunden werden.

Fragen wir zur genaueren Beurteilung der Ergebnisse in der Bundesrepublik Deutschland nach den Beurteilungen der Marktwirtschaft und ihrer sozialstaatlichen Korrekturen in anderen System- und Wohlfahrtstaatstypen, so können wir neben der systemvergleichenden Literatur vor allem auf Esping-Andersens grundlegende Wohlfahrtsstaatstypologie zurück greifen. Sein Ergebnis der Pfadabhängigkeit des liberalen, konservativen und sozialen Wohlfahrtsstaates von tradierten Mustern der politischen Kultur und des institutionellen Gefüges legt den Blick frei auf mögliche Ursachen unterschiedlicher Gerechtigkeitsvorstellungen. Da in diesem Abschnitt unseres Untersuchungsprogramms weder eigene Erhebungen durchgeführt noch Daten anderer Surveys ausgewertet werden sollen, nutzen wir die in der Vergl. Politikwissenschaft gut dokumentierten Länderstudien und systemvergleichenden Analysen. (etwa Schmid 2002, Sturm 1989, Schmidt 2005, Jäger/Welz 1998, Gabriel 1997) Unser bereits angelegtes Zeitungsarchiv der NZZ, die im Haus befindliche Forschungsstelle zur Haushaltspolitik der USA und die jüngst abgeschlossenen Dissertationen zum Reformvergleich in Schweden und der BRD und zu Gesundheit und Gerechtigkeit ermöglichen uns den Rückgriff auf eigene Forschungsergebnisse. Denn stärker als Liebig/Wegener et al., die vor allem Kulturwerte als Wurzeln von Gerechtigkeitsideologien betrachten - etwa Protestantismus, Calvinismus, Etatismus - und Inpidualismus als primäre (vorrangige) und sekundäre Ideologien sehen, werden wir das Institutionengefüge, die Form der Demokratie, den Föderalismus und die politische Kultur in den Mittelpunkt stellen (Liebig/Wegener 1995). Denn nur so kann im Blick auf Reformmaßnahmen von anderen Systemen gelernt und mögliche Vorzüge institutioneller Verfahren, direktdemokratischer Prozesse oder föderativer Konkurrenz im Vergleich zur Pfadabhängigkeit diskutiert werden.

Im Systemvergleich ist es besonders lohnend das repräsentativ-parlamentarische System der Bundesrepublik Deutschland und das direktdemokratische System der Schweiz vergleichend zu untersuchen. Denn direktdemokratische Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten bewirken von der Problemperzeption bis zur Programmumsetzung andere Politik- und Akzeptanzmuster als repräsentative Parlamentsentscheidungen. Zugleich können die BRD und die Schweiz für unterschiedliche Muster des Föderalismus stehen. Während in der BRD die Gleichheit der Lebensbedingungen nach wie vor zu den dominanten soziokulturellen Zielvorstellungen gehört, ist der eidgenössische Föderalismus von Vielheit und Verschiedenheit geprägt. Unterschiedliche Steuermodelle und Finanzverfassungen prägen das Schweizer Föderalismusmodell, während der deutsche Bundesstaat (vor der zweiten Reformstufe und vermutlich auch danach) der Einheitlichkeit und des (gerechten) Ausgleichs wegen weiterhin auf horizontale und vertikale Formen des Finanzausgleichs setzen wird. Ausgewählte ökonomische oder sozialpolitische Entscheidungsprozesse als Einzelfallanalysen im Hinblick auf Gerechtigkeitsdiskurse und -vorstellungen lassen uns überprüfen, wie z.B. gänzlich unterschiedliche Entscheidungen in der BRD und Schweizer Gemeinden und Kantonen z.B. zur Erbschaftssteuer (z.B. St.Gallen, Appenzell IR) oder zur „Reichensteuer“ (BRD) bzw. zur steuerlichen Entlastung von Höchsteinkommen (Zug; Obwalden) diskutiert werden, umgesetzt werden und wirken. Dies lässt uns schließlich zeigen, an welchen Schnittstellen der Entscheidungsvorbereitung und - findung die unterschiedlichen systemrelevanten Gerechtigkeitsvorstellungen sichtbar werden, die schließlich zu unterschiedlichen Gerechtigkeitsurteilen führen.

1